Stellungnahme der Gesellschaft Anthroposophischer Ärzte in Deutschland (GAÄD) zur COVID-19-Impfung von Kindern und Jugendlichen

In der aktuellen Diskussion um die COVID-19-Impfung von Kindern und Jugendlichen spielt vor allem die gesellschaftliche Teilhabe – in Deutschland ein Grundrecht jedes Menschen – eine entscheidende Rolle. Durch Kindergarten- und Schulschließungen wurde unseren jüngeren Mitbürgern dieses in der letzten Zeit zumeist nicht gewährt. Von einigen Seiten wurden nun Aussagen laut, dass Kinder und Jugendliche das Recht auf gesellschaftliche Teilhabe ausschließlich mit einer COVID-19-Impfung wiedererlangen könnten; u.a. sieht ein Beschluss des 124. Deutschen Ärztetag dies vor, der die Bundesregierung zur Entwicklung eines Impfkonzeptes für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren aufforderte. Die GAÄD distanziert sich in aller Form von solchen Aussagen und teilt damit diesbezügliche Bedenken einiger Landesärztekammern (z.B. Saarland und Hamburg) und ärztlicher Fachgesellschaften (z.B. DGKJ und BVKJ). Ohne eine tragfähige medizinische Begründung kann die Wahrnehmung der Grundrechte von Kindern und Jugendlichen nicht mit einer De facto-Impfpflicht verbunden werden.

Aussagen wie die des Deutschen Ärztetages zur Begründung seines Beschlusses «Auch Kinder und Jugendliche haben deutliche gesundheitliche Risiken infolge einer SARS-CoV-2-Erkrankung. Deshalb muss die Immunität auch für diese Gruppe durch eine Impfung und nicht durch eine Durchseuchung erzielt werden.» entsprechen nicht dem aktuellen Stand der Wissenschaft[1]. Im Gegensatz dazu gilt: Kinder und Jugendliche müssen im Erkrankungsfall nur sehr selten stationär behandelt werden und ihr Risiko an COVID-19 zu versterben ist extrem gering[2]. Bisher gibt es auch in Deutschland keinen kindlichen Sterbefall an dem bei jüngeren Kindern gefürchteten multiinflammatorischen Syndrom PIMS[3]. Selbst bei Kindern mit Grunderkrankungen gibt es keinen Beleg eines erhöhten Erkrankungsrisikos durch COVID-19.[4] Zu Kindern mit Long-COVID-Beschwerden[5] liegen vor allem Daten von hospitalisierten Kindern vor, die eine kleine Minderheit aller Infizierten darstellen. Größere Kohortenstudien relativieren erste Meldungen zur Häufigkeit von Long-COVID bei Kindern[6].

In der Praxis leiden Kinder und Jugendliche infolge der Pandemiemaßnahmen ungleich stärker an einem «Long-Lockdown»-Syndrom mit Müdigkeit, Angststörungen, Depression, Mediensucht und Leistungsabfall[7] als an der COVID-19-Erkrankung selbst. Deshalb kann auch die Schließung von Kindergärten, Kindertagesstätten und Schulen nicht weiter mit dem Argument gerechtfertigt werden, dass die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen geschützt wird.

COVID-19-Impfstoffe sind wirksam, aber nicht frei von schwerwiegenden Nebenwirkungen. Die Todesfälle durch Vektorimpfstoffe bei vor allem jüngeren Erwachsenen haben entsprechende Warnungen[8] vor seltenen, schwerwiegenden Impfrisiken, die nicht in Zulassungsstudien erfasst werden können, bestätigt. Das Paul-Ehrlich-Institut berichtet bis Mai 2021 von 12 gemeldeten Todesfällen nach COVID-19-Impfungen im Alter von 20 bis 40 Jahren in Deutschland.[9] COVID-19-Impfungen belasten jüngere Menschen mit stärkeren Impfreaktionen als ältere. Auch Mitglieder der Ständigen Impfkommission in Deutschland (STIKO) sehen derzeit noch keine hinreichend belastbare Studienbasis zur Beurteilung der Impfstoffsicherheit im Jugendalter von 12 bis 16 Jahren[10], während Daten zur Sicherheit bei Kindern noch völlig fehlen. Der Nachweis, dass das Impfrisiko von Kindern unter deren Erkrankungsrisiko liegt, müsste wegen der extrem geringen Mortalität von COVID-19 bei Kindern eine sechs- bis siebenstellige Zahl von Kindern umfassen. Ohne ausreichende Daten zur Sicherheit ist eine Impfung von Kindern und Jugendlichen nicht vertretbar.

Wissenschaftliche Berechnungen und Entwicklungen wie in Israel zeigen vielmehr, dass eine weitgehende Unterbrechung der COVID-19-Infektionsketten[11] ohne die Impfung von Kindern und Jugendlichen möglich ist, auch wenn nur ein deutlich geringerer Anteil der Bevölkerung geimpft wird als erhofft. Langfristig kann eine natürliche Immunisierung im Kindesalter womöglich nachhaltiger zur Immunität der Bevölkerung beitragen als eine Impfimmunität. Dabei ist unbestritten, dass auch Kinder und Jugendliche einen Anteil an der Ausbreitung des Virus haben[12], wobei dieser Anteil bei Kindern unter und bei Jugendlichen leicht über dem von Erwachsenen liegt.[13] Eine sachgemäße Impfdiskussion unterscheidet deshalb zwischen Kindern unter 12 Jahren und Jugendlichen und berücksichtigt darüber hinaus, dass auch zweimal Geimpfte asymptomatische COVID-19-Infektionen entwickeln und damit ansteckend sein können (wenn auch wesentlich seltener als Ungeimpfte[14]).

Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen zu Nutzen und Risiken einer Impfung von Kindern und Jugendlichen stellt die GAÄD fest:

  • Der zu erwartende Impfnutzen für die Betroffenen ist gering.
  • Es gibt keine Daten zum Vergleich der kurz- und langfristigen Wirksamkeit und Sicherheit der neuen Impfstoffe gegenüber einer im Kindes- und Jugendalter natürlich erworbenen Immunität.
  • Mögliche Impfrisiken bis hin zu impfbedingten Todesfällen wiegen in dieser Altersgruppe besonders schwer.
  • Eine Kontrolle der Pandemie und der Schutz gefährdeter Erwachsener ist wahrscheinlich auch ohne die Impfung von Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren erreichbar.
  • Die GAÄD teilt die von einigen Landesärztekammern (z.B. im Saarland und Hamburg) aufgeworfenen Bedenken gegen den Beschluss des Bundesärztetages.
  • Die GAÄD schließt sich der Forderung der WHO an, dass vor einer Impfung von Kindern in den reichen Industrienationen der weltweiten Impfstoffversorgung insbesondere der armen Länder des globalen Südens ein klarer Vorzug zu geben ist.

Für Gesundheit und Wohlergehen von Kindern und Jugendlichen fordert die GAÄD:

  • Die möglichst rasche Rückkehr zum Präsenzunterricht und volle Öffnung von pädagogischen Betreuungsangeboten für alle Kinder und Jugendliche in Deutschland unter sorgfältiger Risikoabwägung insbesondere für die älteren Schülerinnen und Schüler über 12 Jahre.
  • Die möglichst schnelle Wiedererlangung einer vollen Teilhabe von Kindern und Jugendlichen am gesellschaftlichen Leben, Sport und Kultur bei jeweils gebotenen Schutzmaßnahmen und einschließlich der Impfangebote an alle Erwachsenen.
  • Eine besondere Sorgfalt in der Evaluation und Zulassung von COVID-19-Impfstoffen für Kinder und Jugendliche.
  • Weltweit vorrangig allen älteren und gefährdeten Menschen ein Impfangebot zu machen, entsprechend der Forderung der WHO.
  • Eine freie Impfentscheidung zur Wahrung der verfassungsmäßigen Grundrechte.
  • Der Vorstand der GAÄD

 

Anmerkungen
[1]Zepp, F., COVID-19-Impfstoffe für Kinder und Jugendliche. Monatsschr Kinderheilk 2021, 169, 393-394; Obaro, S., COVID-19 herd immunity by immunisation: are children the herd? The Lancet, published online April 19, 2021. doi.org/10.1016/S1473-30999(21)00212-7

[2]«Seit Beginn des Registers im März 2020 wurden insgesamt 8 verstorbene Kinder gemeldet, davon waren 3 Kinder in einer palliativen Situation verstorben, in einem Fall war die Einordnung nicht möglich. Bei insgesamt 4 Kindern wurde COVID-19 als Todesursache festgestellt.» So die Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie DGPI https://dgpi.de/stellungnahme-dgpi-dgkh-hospitalisierung-und-sterblichkeit-von-covid-19-bei-kindern-in-deutschland-18-04-2021/

[3]Ebenda. In Deutschland leben 7.588.635 Kinder im Alter von 0 – 9 Jahren und 10–19 years 7.705.657 Kinder und Jugendliche im Alter von 10 – 19 Jahren, also knapp 15,3 Millionen Kinder und Jugendliche im Alter bis 19 Jahren. Die COVID-Mortalität ist am niedrigsten zwischen 10 und 19 Jahren. Bhopal, S.: Children and young people remain at low risk of COVID-19-mortality. https://www.thelancet.com/action/showPdf?pii=S2352-4642%2821%2900066-3

[4]Zepp, F. (siehe Anm.2) S.394

[5]Buonsenso, D. et al., Preliminary Evidence on Long COVID in children, https://doi.org/10.1101/2021.01.23.21250375, Now published in Acta Paediatrica doi.org/10.1111/apa.15870. Thompson, P.: Children with long covid. New Sci. 2021 Feb 27; 249(3323), published online 2021 Mar 3. doi.org/10.1016/S0262-4079(21)00303-1 referiert aus britischen Daten zu Long-COVID: «Most medical bodies say it normally takes a few days or weeks to recover from covid-19, and that most will make a full recovery within 12 weeks».

[6]Moleteni et al., Illness duration and symptom profile in a large cohort of symptomatic UK school-aged children tested for SARS-CoV-2, Preprint May 13, 2021 https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2021.05.05.21256649v2

[7]Pieh, C. et al.: Mental Health in Adolescents during COVID-19-Related Social Distancing and Home-Schooling. Preprint March 5, 2021, https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3795639

[8]Soldner, G., Martin, D.: Impffragen im Zusammenhang mit COVID-19. https://www.anthromedics.org/PRA-0971-DE

[9]www.pei.de/SharedDocs/Downloads/DE/newsroom/dossiers/sicherheitsberichte/sicherheitsbericht-27-12-bis-30-04-21.pdf

[10]Vgl. das Interview mit dem Kinder- und Jugendarzt und STIKO – Mitglied M. Terhardt https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/panorama/corona-impfung-kinder-risiko-interview-stiko-100.html

[11]Eine Eradikation von SARS-CoV-2 ist unmöglich, das Virus kann auch auf Haus- und Pelztiere übergehen.

[12]Lewis, S. J., Munro, A. P. S., Smith, G. D., & Pollock, A. M. (2021). Closing schools is not evidence based and harms children. BMJ, 372, n521. https://doi.org/10.1136/bmj.n521

[13]Park, Y. J., Choe, Y. J., Park, O., Park, S. Y., Kim, Y.-M., Kim, J., … Kim, S. S. (2020). Contact tracing during coronavirus disease outbreak, South Korea, 2020. Emerging infectious diseases, 26(10), 2465–2468. doi.org/10.3201/eid2610.201315.

[14]Harris, R.J., Impact of vaccination on household transmission of SARS-COV-2 in England. Preprint khub.net/documents/135939561/390853656/Impact+of+vaccination+on+household+transmission+of+SARS-COV-2+in+England.pdf/35bf4bb1-6ade-d3eb-a39e-9c9b25a8122a